In Kittsee raucht – dank Gerhard Ströck – nach 55 Jahren wieder der alte Backofen
In den 1850er-Jahren begann Johann Michael Hüttlinger als Leibeigener der Familie Esterházy in Kittsee als Bäcker zu arbeiten. Später setzte er das weiße Handwerk dann als selbstständiger Bäcker fort. Hüttlinger mag vergessen sein, doch seine Enkelinnen heirateten schließlich zwei Brüder, die ebenfalls das Bäckerhandwerk erlernten. Einer war der Großvater von Gerhard und dessen Bruder Robert Ströck – und diesen Namen kennt man als Freund von Handsemmel, Krustenbrot und Baguette. Mittlerweile umfasst das Familienunternehmen bereits 75 Filialen in Wien und Umgebung und beschäftigt über 1.550 Mitarbeiter. Die Ströck-Feierabend-Reataurants wiederum servieren Speisen rund ums Brot und haben eine junge, urbane Klientel. Doch alles begann im Haus am Joseph-Joachim-Platz 7 in Kittsee. Wo allerdings seit 1968 nicht mehr gebacken wurde – die Expansion der Ströcks startete 1970 von Wien-Donaustadt aus.
„Für meinen Seelenfrieden war es mir wichtig, dass dieser historische Ursprungsort der Bäckerei Ströck für die Zukunft bewahrt wird. Außerdem brauche ich einen Ort, an dem ich in meiner Pension backen kann“.
Gerhard Ströck, Bäckermeister
Als das Haus zum Verkauf stand, schlug Gerhard Ströck in der alten Heimat zu. Bei der umfangreichen und aufwendigen Renovierung des Gebäudes legte er besonderes Augenmerk auf die Restaurierung des Holzbackofens, in dem vor 150 Jahren schon Brote in liebevoller Handarbeit hergestellt wurden. Der einzige Ofenbauer des Landes, der auf historische Backöfen spezialisiert ist, wurde engagiert, um das geschichtsträchtige Inventar zukunftsfit zu machen. Beheizt wird der in frischem Glanz erstrahlende Holzbackofen in einem Zwei-Kammern-System, in dem auf beiden Seiten des Backraums die Holzscheite lodern. Feuer und Rauch ziehen durch die Kammer, in der das Brot später liegen wird.
Bis der Laib in den Ofen kommt, muss das Feuer vollkommen abgebrannt sein und die dicke Bodenplatte des Ofens auf 270 Grad Celsius aufgeheizt sein. Dieser arbeitsintensive Prozess dauert rund vier Stunden. Brot ist alles andere als „Fast Food“!
Die Inspirationen für das Backen mit Holz holten sich Gerhard Ströck und Entwicklungsbäcker Pierre Reboul in der legendären Pariser Bäckerei Poilâne. Sie ist bei französischen Connaisseurs berühmt für ihre traditionell zubereiteten Brotspezialitäten aus einem ebenfalls Holz-befeuerten Backofen – allen voran der „Miche“, ein Weizen-Brotlaib mit Meersalz aus der Guérande.
Ausschließlich Kittseer Bioweizen wird zu Mehl
Das Burgenland spielt in dem geschichtsträchtigen Familienstück aber noch eine weitere wichtige Rolle. Der Kittseer Bioweizen wird hier „verbacken“, wobei bereits beachtliche 23 Tonnen für die neue alte Bäckerei der Familie Ströck gesichert wurdne. Nachdem er auf der eigenen Mühle der Traditionsbäckerei vermahlen wird, wird er zu einem Sauerteig vergoren. Das Resultat der Backkunst im alten Holzbackofen sind riesige, zwei Kilogramm schwere Bauernlaibe mit herrlicher Kruste und wunderbaren Röstaromen, die besonders lange haltbar sind. Erhältlich ist es jeweils samstags am Karmelitermarkt in Wien, natürlich in der Filiale Kittsee und in den Wiener Feierabend-Lokalen Burggasse, Rotenturmstraße und Landstraße.
Übrigens: Der Standort des revitalisierten Ofens ist nicht nur kulinarisch von Wert, auch Musiker kennen die Adresse: Der Violinist Joseph Joachim, einer der bedeutendsten Geiger des 19. Jahrhunderts, wurde 1831 im damals noch ungarischen Kittsee geboren.