In Markt Allhau tragen Bullen Hörner, fressen viel Heu und Gras und wachsen abseits der beschleunigten Zyklen der Fleischindustrie auf. Ein Tierarzt und Bauer hat rund um seine 1.500 Tiere umfassende Herde das „Bullinarium“ errichtet: Wissensort, unkonventionelles Restaurant und tiergerechte Vision zugleich.
Die Führung durch das „Bullinarium“ beginnt heftig. Der Schock-Moment ist kalkuliert und macht umso drastischer mit der Realität der Rinderaufzucht vertraut: Es handelt sich um eine Beton-Palette, mit Schlitzen für Kot und Urin versehen, auf der sich das Rind gerade einmal hinlegen kann. Umdrehen ist schon nicht mehr drinnen. „Wie es ist“ steht über diesem Standard-Boden, auf dem Stiere heute in Österreich mehrheitlich gehalten werden. Spätestens jetzt hat Christoph Haller, Initiator der Rinder-Welt im Südburgenland, die volle Aufmerksamkeit.
Der Rest des geführten Einblicks in die Agrar-Gegenwart widmet sich dann dem einfachen Motto, unter dem die Antwort der Hallers steht: „Wie es sein soll“. Mittels Fakten, aber auch spielerischen Elementen wie einem Kuhfell bespannten „Memory“-Spiel zum Thema Tierwohl, soll der Besucher in Markt Allhau verstehen, „wie das Lebensmittel Fleisch entsteht“. Christoph Haller ist dabei stets ein Freund klarer Worte. „Es gibt nur drei Optionen“, schildert er etwa die Zukunft der Rinderhaltung in Österreich. Die Version auf dem verkrusteten Betonboden diskutiert er gar nicht weiter. Indiskutabel! Die zweite Möglichkeit aufgrund des Preisdumpings wäre, auf kurz oder lang als Bauer seinen Hof aufzugeben. In Markt Allhau hat man aber sich für den dritten Weg entschieden: „Einen relativ geringen Mehrpreis für den Konsumenten, der uns das Überleben sichert“.
Wiederkäuer wollen Gras und Kräuter
Dass ausgerechnet im beschaulichen Lafnitztal die Zukunft der heimischen Rinderhaltung zu erleben ist, mag verwundern. Alm-Wiesen sind aber für den Großteil der Fleisch-Lieferanten so utopisch wie die lila Färbung der Milka-Kühe. Haller ist aber nicht nur Rinderzüchter, sondern praktizierender Tierarzt und schon allein von daher dem Tierwohl verpflichtet. Er hat aber auch die Landwirtschaftsschule im Ennstal abgeschlossen und verfügt somit über einen raren Einblick in die natürliche Physiologie der Rinder ebenso wie in ihre Nutzung. Aufgewachsen ist der Initiator von Österreichs größter Kreislauf-Landwirtschaft, die er mit seinen Kindern Sabrina und Florian führt, im Bregenzer Wald „zwischen Kälbern“. Dort sei keineswegs zugefüttert worden, appelliert er an den Hausverstand: Zu träge Tiere hätten schließlich auf den steilen Hängen keine Nahrung gefunden.
Der radikale Verzicht auf Getreide-Zufütterung, der heute hinter dem Bull Beef-Fleisch aus Markt Allhau steht, geht auf diese persönliche Erfahrung in der kargen Vorarlberger Landschaft zurück: „Da ist nur Gras gewachsen, das von den Wiederkäuern zu Milch und Fleisch veredelt wurde“. Diesen Rohstoff der Natur in Lebensmittel umzusetzen, dafür seien die eher schmächtigen Rinder von Natur aus ideal geeignet. Genau dieses naturgemäße Leben streben die Hallers bei ihren sage und schreibe 1.500 Tieren wieder an: Gras oder Heu von den Feucht-Wiesen an der Lafnitz (international geschützt als so genannte RAMSAR-Zone) bildet das Futter. Gehalten wird ausschließlich heimisches Fleckvieh und keine gezüchteten „Fleischrassen“, die mehr Fett einlagern. Selbst beim Wachstum folgt man nicht den rasch „aufgemästeten“ Tieren der modernen Schlachtindustrie. „Selbstverständlich dürfen auch alle meine Bullen Hörner tragen“, ergänzt Haller, der keine Verletzungsgefahr sieht. Der Veterinär und Bauer gibt den Tieren schließlich auch doppelt so viel Platz im Stall, als vorgeschrieben. Wenn sie nicht ohnehin auf der Weide stehen.
Energie-Kreislauf, von der Kuh betrieben
Apropos Weide: Hier soll in Zukunft auch der Schlachthof für das südburgenländische Rindfleisch stehen. Transportwege vermeidet man heute schon, schließlich will die vor wenigen Wochen eröffnete Erlebniswelt die Angst vor dem Fleisch-Genuss nehmen. Die Transparenz ist bei der Aufzucht ist dabei nur ein Aspekt des „Bull Beef“. Denn selbst der Mist der Herde fließt in den Energie-Kreislauf ein. Mit 60 Tonnen Dung wird ein Biomasse-Kraftwerk befeuert, dass allein 2.000 Haushalte im Südburgenland versorgt. Damit räumt das „Bullinarium“ auch mit den Vorurteilen gegenüber der CO2-Bilanz auf: „Diese Biomasse war bereits in der Natur, anders als wenn Tonnen-weise zugefüttert wird“, vergleicht Haller beim Rundgang durch den pädagogischen Teil der Genusswelt die Werte für südamerikanisches Beef und die südburgenländische Variante.
Die Führungen durch das mit einem hauseigenen Kino ausgestattete Stockwerk endet vor dem Reiferaum. „Wir wollen hier in erster Linie mit potentiellen Konsumenten in Kontakt kommen“, sieht Haller diesen Einstieg als essentiell für die Wertschätzung von Fleisch an. Ab hier übernimmt die nächste Generation. Zieht man in der stilisierten Küche des „Bullinariums“ an den Schubladen, erfährt man die Küchentipps von Chefkoch Mateo Lopez, dem Schwiegersohn des visionären Tierarztes. Er bereitet das im Hintergrund reifende Fleisch zu. Auch hier geht man neue Wege für das „Bull Beef“. Lange „Dry Age“-Phasen meiden die Hallers, schließlich braucht der Geschmack nicht durch den Wasserverlust konzentriert werden, er ist bereits durch Gräser und Kräuter der Fütterung da. Maximal ein Monat werden die „Englischen“, wie man in der Branche die Rinderhälften nennt, in Markt Allhau gereift.
Freestyle, von der Nase bis zum Schwanz
Auch wenn daraus köstliche Steaks geschnitten werden, die es zum Mitnehmen, aber auch per Online-Versand („in der Regel sind sie am nächsten Tag beim Kunden“) gibt: Im Sinne des Respekts vor den Rindern wird das gesamte Tier verarbeitet. Eine „Filet-Mentalität“ ist der ganzen Familie ein Gräuel, wie Restaurant-Leiterin Sabrina Lopez unterstreicht. Stattdessen werden von der Nase bis zum Schwanz alle Teile des Bull Beefs genutzt. Überzeugen kann man sich davon im seit der Eröffnung im Juni ausreservierten Restaurant: Rindswangerl und Beuschel kommen aus der Küche des Spaniers Lopez mit der Selbstverständlichkeit eines Dorf-Wirtshauses.
Gebackenes Bries und Kutteln „Madrid Style“ stehen bei Haller und Lopez unübersehbar neben den Ribeyes auf der Karte. Mitunter erlaubt sich Señor Mateo einen aromatischen Schlenker, der aber nur noch mehr auf das Fleisch und seine Güte fokussiert. Etwa wenn statt Zitronen das „Limoni-Beuschel“ der Wiener Küche von Kapern säurig begleitet wird. „Freestyle“ nennt sich diese Art zu kochen, deren Rezepte man gerne mit den Besuchern teilt – zum Fleisch für daheim gibt es die Tipps in einer eigenen Broschüre mit dazu. Etwa für einen perfekten Zwiebel-Rostbraten oder einen kalifornischen Rindfleisch-Salat, der die Reste vom Tafelspitz g’schmackig verwertet.
Denn auch wer mit Innereien fremdelt, braucht keine Angst zu haben, hier hungrig zu bleiben. Selbst als „Pulled Beef“ macht das südburgenländische Rindfleisch nämlich beste Figur. Statt einem Burger-Brötchen befüllt man im „Bullinarium“ ein vietnamesisch inspiriertes Germ-Tascherl („Bao Bun“) damit. Denn das Restaurant ist ein ebenso wichtiger Teil des Gesamterlebnisses in Markt Allhau. „Wir wollen die Konsumenten direkt erreichen“, ist die Linie Hallers. Die Lage im Südburgenland sei nicht nur für die wertvollen Weidegründe der Rinder entscheidend. „Wären wir in der Nähe einer Großstadt, dann wären wir in kurzer Zeit einfach ein Restaurant mit Rindfleisch, das wollen wir nicht“. Wer ins „Bullinarium“ kommt, hat sich aber bewusst Zeit für Rind „wie es sein soll“ genommen. Oder auch: Zeit zu genießen, Zeit zu verstehen.
Fotos: Roland Graf, Wolfgang Schmid, Hallers