Pikante Pfefferoni, knackige Essiggurkerl – ohne Sauergemüse wäre keine Jause komplett. Doch von wem aber stammen die feinsauren Fleisch-Begleiter und wie kommen sie ins Glas? Das erfährt man bei der Ernte im Seewinkel.

Hier sind wir richtig! Schon beim Einbiegen mit dem Fahrrad in den Güterweg „Murkenäcker“ in St. Andrä am Zicksee treibt einem der Wind unverkennbaren Paprika-Geruch entgegen. Das Gemüse liegt quasi in der Luft, es liegt den Seewinklern aber auch im Blut: Entlang der Hauptstraßen, aber oft von Weingärten und Mais-Stauden versteckt, reihen sich hier die Gemüsefelder aneinander. Das warme pannonische Klima begünstigt den Anbau von Einlege-Gurken und Paprika-Variationen. Das Wiener Traditionsunternehmen Staud’s kennt die Bauern, denen die Felder zwischen Huldenacker und Murkenäcker gehören, bestens. „Bei uns soll so viel wie möglich soll aus österreichischer Landwirtschaft kommen“, bekräftigt Geschäftsführer Stefan Schauer. Er ist unser Scout bei der Gemüse-Ernte 2020 – gemeinsam mit dem waschechten Gurkenprinz.

Der heißt offiziell Jürgen Hagenauer und verantwortet bei Staud’s die Sauergemüse und den Stegersbacher Einlegebetrieb „Gurkenprinz“, daher der Spitzname. „Vor 20 Jahren war das Gemüse ein Zusatzeinkommen für viele, in jedem Ort gab es ein, zwei Aufkaufstellen“, erinnert er sich an die großen Zeiten der sauren Seewinkler Spezialitäten. Gemeinsam mit dem Machland und dem Marchfeld gehört die Region zu den traditionellsten Anbaugebieten des Landes. Doch auch im Seewinkel haben sich die Zeiten geändert. Hagenauer bewirtschaftet selbst einige Felder und entsprechend bedeutsam ist seine Aussage, dass „Sauergemüse unter seinem Wert geschlagen wird“.

Im Seewinkel liegen die Piloten

Es sind nicht nur die vielen Handgriffe und die immer schwieriger zu findenden saisonalen Erntehelfer, die selbst ein banales Essiggurkerl zum landwirtschaftlichen Spezialprodukt machen. Das Wetter muss nämlich bereits bei der Aussaat passen, die unter bewässerten schwarzen Folien im April erfolgt. Ein dauerhaft kalter Mai wie im vergangenen Jahr verhindert aber die Keimung. Gurken brauchen dauerhaft 15 Grad um auszutreiben, darunter verfault Saat und es muss nachgepflanzt werden – „wir reden da von gut 7.000 Euro über die ganze Fläche“. Diese Rechnung macht eine der Gurkenbäuerinnen vom Huldenacker auf. Man kenn Feld-Besitzerin Lisa Wachtler im Seewinkel, denn im Hauptberuf ist die Gemüse-Kennerin Polizistin.

Sind dann auch Mehltau und Spinnmilben als größte Feinde der Kultur besiegt, dann kann die „Kampagne“ am 20. Juni. So nennt man hier die Ernte, für die jeden zweiten Tag in St. Andrä der so genannte Gurken-Flieger startet. Dieser Anhänger, auf dessen „Flügeln“ je zehn Personen liegend (!) die Feldfrüchte einbringen, erleichtert im Gegensatz zu anderen Kulturen wie Chili oder Pfefferoni die Handernte zumindest ein wenig. Zwei Personen bearbeiten dabei eine Gurken-Reihe. Acht Wochen lang dauert es in der Regel, bis die gesamte Ernte eingebracht ist. Erschwerend kommen aber die Temperaturen dazu: 40 Grad sind unweit des österreichischen Hitzepols Andau schließlich keine Seltenheit, wenn die Erntehelfer die Gurkerl von den Pflanzen abdrücken. Es wird nämlich nicht gezupft, denn der Stängel der leicht stachlichen Sorte namens „Karaoke“ soll nicht an der Frucht hängen bleiben.

Der burgenländische Hektar-Ertrag im Bio-Anbau liegt mit 20 bis 25 Tonnen deutlich unter den Erntemengen anderer Gebiete (in Bayern etwa sind es rund 80 Tonnen). Die extreme Selektion lässt nur 50% für die Weiterverarbeitung zu Essiggurkerln zu. „Der Rest wird entweder zu Salzgurken oder für den Pusztasalat verwendet“, erklärt Jürgen Hagenauer. Er begleitet die Gurkerl zur Weiterverarbeitung bei der Firma „Gurkenprinz“ –  offiziell: Südobst Obst- und GemüseveredelungsgmbH –  in Stegersbach. So richtig sauer werden die Früchte des Seewinkels nämlich erst im Südburgenland. Dort werden auch die anderen Gemüse verarbeitet, etwa die Ernte vom „Murkenacker“, wo Familie Michlits vom Pusztahof aus Wallern ihren Pfefferoni-Anbau betreibt.

Mit der Hitze steigt die Schärfe

Am Feld stehend bekommt man gleich die erste Lektion: „Je heißer und trockener der Sommer, desto schärfer die Pfefferoni und Chilis“. Die scharfen Schoten gehören zu den am schwierigsten zu erntenden Gemüsesorten überhaupt, da sie immer noch zur Gänze per Hand gepflückt werden. Heribert Michlits und seine Söhne Philipp und Oliver liefern zwei Sorten der Jausen-Klassiker: Den milden Spiral-Pfefferoni, der zum Einlegen auch händisch in die Gläser „geschraubt“ wird und den deutlich schärferen Merino. Ein Teil der Michlits-Felder wird bereits biologisch bewirtschaftet. Wo es möglich ist, setzt Stauds beim 14,5 Hektar umfassenden Seewinkler Sauergemüse-Anbau auf Bio-Ware. Auch das verteuert die Produktion. Selbst während der dreijährigen Umstellungszeit von der konventionellen Landwirtschaft fällt das von Gesetz wegen noch nicht als „Bio“ deklarierte Gemüse preislich bereits in diesen Bereich.

Ob Bio oder nicht, in Stegersbach werden alle Gurkerl und Pfefferoni nochmals gewaschen, in Lake eingelegt und ebenfalls händisch mit den Gewürzmischungen versehen. Beim Gurkenprinz werden die Gläser dann verschlossen, pasteurisiert und etikettiert. Denn Würstelstände und Jausentiger warten schon! 60 Gurkerl etwa kommen in die neuen Großgläser, die 1,7 Liter fassen. Und damit genügend saure Begleitung für Käsekrainer, Leberkäse und Kümmelbraten liefern. Vielleicht ist ja sogar ein vom FIATA gepflücktes dabei…

Fotos: Roland Graf